Claus Kleber resümiert in den Heute-Nachrichten, dass die letzten Tage in Ägypten „in die Geschichtsbücher“ eingehen werden. Rupert Murdoch wollte seiner Aussage „Neue Zeiten brauchen einen neuen Journalismus“ gestern mit der Veröffentlichung der „The Daily“-App fürs iPad Taten folgen lassen. Ich habe aber das Gefühl, dass weder Kleber und Murdoch bei der Geschichtsschreibung noch bei dem Blick in die Zukunft anwesend waren. Ein kleines Gedankenflimmern.
Schon seit Tagen demonstrieren Ägypter gegen ihren Präsidenten Husni Mubarak auf den Straßen von Kairo und versammeln sich auf dem populären Tahrir Platz zwischen Nil und Nationalmuseum. Schon seit Tagen wurde im Netz über die neue „The Daily“-App diskutiert und wie sie nun genau den Journalismus verändern soll. Auf der einen Seite gibt es ein geschichtsträchtiges Ereignis und auf der anderen Seite den „neuen Journalismus“, aber wie kommen diese beiden Seiten jetzt zusammen?
In einem FAZ-Artikel beschreibt Jochen Hieber das Fernsehprogramm von ARD und ZDF als die Ausschreitungen in Ägypten begannen. Während CNN und AlJazeera schon berichteten, sogar N-TV live vor Ort war, werden bei ARD und ZDF stoisch weiter Daily Soaps und Kochshows gezeigt. Meine Vermutungen und die eines Freundes, dass die deutschen Medien nicht sonderlich an den Ereignissen in Ägypten interessiert sind, bekamen gestern viele Beweise geliefert. Denn als gestern die Ausschreitungen auf dem Tahrir Platz begannen, suchte ich nach Informationen, was vor Ort gerade passiere. Ob bei SpiegelOnline, Tagesschau oder Eins Extra – ich fühlte mich weiterhin uninformiert und besuchte lieber den Livestream von AlJazeera und verfolgte den Liveticker beim Guardian.
Live ist ungleich Live
Vielleicht wollte ich auch „zu schnell“ und „zu live“ dabei sein, aber bekomme ich das nicht gerade an jeder Stelle gehuldigt, dass das Internet alle Informationen überall sofort verfügbar macht? Ja, das Internet stellt die Strukturen zur Verfügung, aber filtern müssen wir die Informationen noch selbst. Die Twittersuche bringt mir zwar Livekommentare, aber mangels Arabischkenntnisse nur wenig. Dazu strengt mich das Verfolgen von mindestens vier Informationskanälen zu sehr an.
Jede Homepage und jede App von Nachrichtendiensten verführt mit der Aussage, dass sie alle Nachrichten für uns hat, aber nur in wenigen Fällen stimmt das auch. Denn was einem meistens geboten wird sind die umgeschriebenen Nachrichten von DPA, DAPD und Reuters.
Obwohl durch das Internet so viele Informationen zur Verfügung stehen, benutzen viele Nachrichtensender nur wenige und die gleichen Quellen und angeblich soll das nun die Daily-App ändern. Tut sie aber nicht. Denn hier wird nur der klassische Journalismus auf einem hochauflösenden Display weiter betrieben. „Neuen Zeiten“? „Neuen Journalismus“? Pustekuchen!
In einem Artikel bei der Berliner Gazette beschreibt Lorenz Matzat seine Enttäuschung von den deutschsprachigen Onlinemedien und ich teile seine Meinung. Ich würde aber noch einen Schritt weitergehen und nicht nur neue Genres im Journalismus ermitteln (Data journalism), sondern für einen Paradigmenwechsel beim Journalismus plädieren. Der Journalismus hat heute nicht mehr die Aufgabe uns eine Information zu vermitteln, sondern er muss die Informationen filtern und in einen Kontext stellen. Dabei ist es dem Zuschauer egal, ob die Information von Twitter, Spiegel, CNN oder von einem Augenzeugen kommt. Der Zuschauer möchte nur das Gefühl haben, dass die Informationen richtig und wichtig sind. Und die richtigen und wichtigen Informationen kann heute nicht mehr nur eine Redaktion besitzen.
Der Guardian hat das gestern in Ansätzen ziemlich gut bewiesen, als Twitter genauso zu einer Quelle wurde wie AlJazeera und CNN. Man hat dem Leser nicht vorgegaukelt, dass die eigene Redaktion vor Ort die ganzen richtigen und wichtigen Informationen hat, sondern dass die Redaktion versucht alle Informationen zu filtern. Somit war das Bild viel umfangreicher und aktueller als beispielsweise bei SpiegelOnline, deren (gefühlt) einzige Quelle ihr Reporter war.
Natürlich kann sich eine Redaktion nicht nur durch andere Nachrichten füttern lassen, aber sie kann doch auch nicht mehr nur auf den eigenen Redakteur und die Nachrichtenagenturen verlassen. Eine Mischung aus allen Informationskanälen wäre doch auch eine gute Reaktion auf Aussagen, dass nirgends mehr Geld zu verdienen ist. Denn für Qualität in den Nachrichten würden viele Menschen bezahlen. Wenn sie dabei nicht das Gefühl bekommen uninformiert vor dem Bildschirm zu sitzen, wenn ein Ereignis passiert was in die Geschichtsbücher eingehen wird.
Foto: Darkroomproduktion by Flickr (CC-Linzenz)