„Wir erzeugen die Welt, in der wir leben, buchstäblich dadurch, dass wir sie leben.“ – Maturana
Endlich sind die Wahlen in Niedersachsen und Hessen vorbei. Die Freude liegt nicht darin, dass die Spannung weg ist, sondern darin, dass der Wahlkampf vorbei ist. Denn diese Zeit ist eigentlich die Schlimmste, die es gibt. Innerhalb ein paar Monaten verkleinert sich regional die Wirklichkeit so sehr, dass die Erde wieder eine Scheibe ist, weil man ja nur den Horizont sieht oder jeder der „Scheissdeutscher“ schreit gleich ganz Deutschland hasst und deswegen auch sofort raus soll.
Auf Polylux gab es dazu auch einen feinen Beitrag, der sich ziemlich gut mit dem Thema der „Wahlkampffloskel“ beschäftigt hat. An einer kleinen Diskussion, die im Kommentarbereich geführt wurde, habe ich mich auch beteiligt (bzw. sie auch ausgelöst) und es war doch sehr interessant zu sehen, wie Theorien, die auch gerne in der Politik verwendet werden, mehr oder weniger auch unsere Interaktion beeinflusst. Oder andersherum unsere Interaktion unter anderem auch die Politik beeinflusst.
Die Reduktion der Wirklichkeit auf eine Kausalität, wer a sagt muss auch b sagen. In der politischen Theorie wurde die Welt im Kalten Krieg auf zwei Pole eingeteilt, dabei waren die einen gut und die anderen böse. Eine Differenzierung wurde kaum noch unternommen und die Welt nicht nur so betrachtet, sondern auch so gehandelt. Die Containment-Politik oder die finanzielle Unterstützung durch den Marshallplan implizierten nicht zu selten, dass du entweder nur für Jemanden bist oder gegen ihn. Dieses Weltbild hat sich mit dem Wegfall einer der beiden Mächte gewandelt und wird heute als multipolare Weltordnung analysiert. Dieses doch sehr szenische und in der (Ironie zur Sache stehendes) vereinfachendes Beispiel sollte dabei zeigen, wie gerne man sich die Welt kausal reduziert. So auch besonders im Wahlkampf in Hessen, als eine Gleichung aufgemacht wurde, die viele Fehlerquellen erhielt: Wenn zwei Jugendliche in einem Münchener U-Bahnhof einen alten Mann verprügeln und ihn als „Scheissdeutscher“ bezeichnen, sich zufälliger Weise noch herausstellt, dass diese beiden Jugendlichen ausländischer Herkunft sind, dann sind das Deutschlandfeinde und gehören hier nicht her. Okay. Damit lässt sich Wahlkampf machen. Leider nur erschreckend wenn sich dieses Thema durch die ganzen Medien zieht und auch nur zweifelhaft kritisiert wird. Dazu, dass wenn es kritisiert wird, es nicht aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Schabernak der sich zusammengeschustert wird passiert, sondern es eine parteiliche Färbung annimmt. So musste ja die SPD sagen, dass sie es nicht so sieht wie die CDU, weil…ja…weil…es die SPD ist. So muss ein damaliger Ministerpräsident Roland Koch nicht zu dem inhaltlichen kausalen Blödsinn gefragt werden, sondern unter anderem nur, dass besonders in Hessen die justiziellen Mühlen für Jugendliche Straftäter langsam mahlen. Die flache Theorie wird angenommen, denn irgendwie stimmt es ja auch, weil es ja Bilder von einer Kamera, die es genauso zeigen, gibt.
Die Wirklichkeit ist reduziert und es wird angenommen. Denn unsere Gehirn arbeitet sehr gerne ökonomisch, um uns das alltägliche Leben zu erleichtern, damit man nicht jeden Tag das Autofahren neu erlernen muss oder auch dass man nicht zählen muss um Gegenstände bis drei zu erkennen (Wenn hier drei Büroklammern liegen, muss ich nicht zählen). Auch bei der gerne aus der Physik genommenen Aktion-Reaktion-Regel arbeitet unser Gehirn im Unterbewusstsein nicht anders. Wenn ich hier unter einem Haus durchlaufe von dem Schnee herunterfällt, dann denkt mein Gehirn nicht, dass es nun irgendwie anders kommen könnte, sondern es reagiert, dass mit auf meinen Kopf das gefrorene Wasser sehr weh tun könnte und schützt mich – unterbewusst.
Schwerer wird es, wenn wir dieses Reglement auch in unser Bewusstsein übernehmen und jegliche Aktion mit einer einfachen Erklärung beantworten. Die Jugendlichen haben sich das Opfer natürlich nur ausgesucht, weil es ein Deutscher ist. Also raus! Man könnte nun meinen, dass die Wahlbevölkerung in Hessen wegen solchen Aussagen Roland Koch abgewählt hat, aber dies wäre wieder genauso einfach, wie seine Aussage. Jeder Wähler wird seine Gründe gehabt haben, aber dies war nicht nur der Eine.
Als ich in diesem Blog in der letzten Woche schrieb, dass ich nicht die SPD und CDU in Hessen wählen würde, hieß es auch nicht, dass ich automatisch die Grünen oder die FDP wählen würde. Dieses wäre mir wieder zu einfach gewesen. Wenn ich halt mich wirklich mit einer Wahl auseinandersetzen müsste, dann wenn ich davon betroffen wäre, was bei mir als derzeitiger Exil-Deutscher nicht zutrifft, dann wären meine Überlegungen dazu ausschweifender gewesen.
In dem Artikel „Koalitionskalauer“ ging es nur darum, dass in dem Fall einer großen Koalition schon 2005 im Bundestagswahlkampf die Aussage „es wird keine Koalition zwischen SPD und CDU geben“ getätigt wurde, wie sie jetzt auch im hessischen Wahlkampf getätigt wurde. Somit haben die beiden Parteien zwar nicht gelogen, aber sich eher an ihre Aussagen nicht mehr erinnert. Dann die pauschale Aussage zu treffen, dass alle Parteien lügen, wie es bei den Kommentaren im Polylog der Fall war, kann zwar gut stimmen, aber es geht halt nicht, dass die Grünen, bei der Aussagen lügen können, weil die keine große Partei sind und daher auch keine große Koalition bilden können.
Somit führt eine derartige Pauschalisierung wieder hin zu einer Reduktion der Wirklichkeit und diese Überlegungen sollten sich halt ändern. Denn wenn keine Differenzierung vorgenommen wird, dann brauch man bald keine Wahlkämpfe mehr, weil man dann nur noch sagen muss: Isso!
Ach nein wenn das so wäre, würde mir die Zeit der Wahlkämpfe fehlen. Wenn die Erde ein Scheibe ist, weil man ja nur den Horizont sieht und es doch eigentlich viel zu viel Ausland auf der Welt gibt. Die Hälfte hätte es auch getan.
Bild: M.C. Escher „Zeichnende Hände„
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